Klimbim, die Wahrheit

von Simone Kaempf

Heidelberg, 28. Mai 2019. Grauer fetter Nebel steigt zwischen hohen Laternen auf. Die Lampen werfen ein fahles Zwielicht wie im Morgengrauen. Oder ist das der Qualm der Zigaretten, an denen hier gezogen wird mit schief gelegtem Blick hinterm Trenchcoatkragen? Das Bühnenbild dieses Abend versetzt einen jedenfalls sofort in die Stimmung eines Film-noir Kriminalfilms mit seinen eigenbrötlerischen Privatdetektiven. So ein Ermittler bestimmt in "Der Zorn der Wälder" tatsächlich die temporeiche Handlung: Privatdetektiv Pritchet, trinkfester lonesome-Cowboy mit altem Bogart-Hut und traditionellen Moralvorstellungen, der in Sachen Steuerhinterziehung und Aktienschwindel ermittelt, aber auch bei Ehebruch, Diebstahl, Raub, "all die unweigerlichen Begleiterscheinungen der von Aufstiegssehnsüchten geprägten urbanisierten Gesellschaft", die er pessimistisch ankreidet. Die Welt draußen beschreibt er heiser-verraucht als eine Art Gotham City, die halbe Bevölkerung versinkt im Sumpf aus Dreck und Armut.

Bald steht eine Auftraggeberin vor der Tür: Emma Carsons Mann ist verschwunden, Pritchet hat einen neuen Fall, einen scheinbar ganz klassischen, denn Carson hielt sich neben der Ehefrau eine Geliebte, mit der ein anderes Leben beginnen wollte. Ein Bündel Briefe dient als Beweisstück für die Fluchtpläne. Doch der Fall ist komplizierter. Denn auch dieser Carson ist ein Mann von Grundsätzen. Den alten Wahrheiten misstraut er, fordert im aufklärerischen Sinne neue Wahrheiten, will revolutionär die Ordnung für ein neues Miteinander entwerfen, und esoterisch-fundamentalistisch behauptet er, dass die "Bewegung für unsere Zukunft aus dem Baum" kommen werden.

DerZornderWaelder07 700 Konrad Fersterer uCem Lukas Yeginer, Süheyla Ünlü, Yascha Finn Nolting © Konrad Fersterer

Diese Verbindung von Privatermittlung und Ideologie-Befragung stammt aus der Feder von Alexander Eisenach, dessen Detektiv nicht nur auf der Suche nach dem verschwundenen Carson ermittelt, sondern auch in Sachen politischer Willensbildung seinen Fall zu verstehen weiß. Regisseur Kieran Joel hat das Stück in seiner Inszenierung, die am Staatstheater Nürnberg entstand und in Heidelberg den Wettbewerb um den Nachspielpreis eröffnet, in ein Krimifilm-Setting versetzt, das es mit jeder Schwarzen Serie aufnehmen kann.

Die Rollenhaftigkeit des Daseins

In Trenchcoat, Stetson und mit Zigarette switchen die fünf Spieler durch die Rollen. Sie sind Opfer wie Täter zugleich und verwickeln sich als Zeugen immer wieder in widersprüchliche Weltwahrnehmung. Wenn Pritchet auffordert, doch endlich mal die Wahrheit zu sagen, entspinnen sich wie auf Stichwort temporeiche Dialoge über Wahrheit, Wirklichkeit, oder wie Stephanie Leue es als Charlotte damenhaft nonchalant anfeuert: "Stellen Sie sich meine französisch-dekonstruktivistische Haltung als so einen Klimbim wie Wahrheit vor." Wenn dazu augenzwinkernd der Hutrand tiefer gezogen wird, blitzt auch ein höheres Bewusstsein für die Rollenhaftigkeit des Daseins auf.

Das finale Feuergefecht auf der Waldlichtung ist ein Showdown, bei dem niemand verbal einen Zentimeter abgibt. Wahrheiten werden ausgesprochen, um gegen andere Wahrheiten zu prallen. Kieran führt das im chorisch gesprochenen Ermittlerton rhythmisch zusammen. In knapp 70 Minuten kommt der Abend mit Unterhaltungseffekt auf den Punkt. Für das Nachspielen von Stücken wird (zu Recht) immer wieder die große Bühne und Form gefordert, um die Stücke mehr in die Aufmerksamkeit zu rücken. "Der Zorn der Wälder" schafft's aber doch in kleiner Form, seine Vermischung der Genres mit den Moraldiskurs unserer Zeit ist ein konzentriertes Spiel - und wirklich ein kleines Kunststück.

Der Zorn der Wälder
von Alexander Eisenach
Regie: Kieran Joel, Bühne und Kostüme: Matthias Koch, Musik: Lenny Mockridge, Video: Roman Kuskowski, Dramaturgie: Brigitte Ostermann.
Mit: Anna Klimovitskaya, Stephanie Leue, Yascha Finn Nolting, Süheyla Ünlü, Cem Lukas Yeginer.
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause

www.staatstheater-nuernberg.de


Mehr zu Kieran Joels Inszenierung im Nachspielinterview.

 

 

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