Bilder des Film noir

April 2019. Eines Nachts verschwindet Henry Carson spurlos, der Privatdetektiv Pritchet hat damit einen neuen Fall. Autor Alexander Eisenach spielt in "Der Zorn der Wälder" mit Klischees aus dem Film Noir und fragt, wie der Mensch handeln kann im unaufhörlichen Fortschrittsstrudel. Gibt es ein "weiter so"? Gilt es, sich zurückzuziehen oder muss doch der kollektive Aufschrei her? Cornelia Fiedler sprach mit Regisseur Kieran Joel darüber, wie er in seiner Nachinszenierung am Staatstheater Nürnberg mit dem Stück umgegangen ist.

nachtkritik.de: "Der Zorn der Wälder" spielt ironisch mit der Figur des Dirty Detective und der Krimiästhetik der 1920er: Die schöne Mrs. Carsons beauftragt den abgewrackten Privatdetektiv Pritchet, ihren verschwundenen Ehemann zu finden. Er ermittelt dann unter Aussteiger*innen, in anarchistischen und salonkommunistischen Kreisen. Wie haben Sie diese "Film Noir"-Anleihen in Ihrer Inszenierung aufgegriffen?

Kieran Joel: Der Film Noir ist die Folie des Stück, da hat man natürlich sofort 1000 Bilder im Kopf, schwarz-weiß, Trenchcoat, nasse Straßen im Laternenschein … Der Kriminalfall selber, die Auflösung darf dabei völlig hanebüchen sein. Wichtig ist, dass der Held eine Reise durchmacht und etwas über sich selbst herausfindet. Im Film "So Dark the Night" wird das auf die Spitze getrieben, indem der Kommissar am Ende der Täter ist, den er jagt. Dafür wollte ich eine Form finden, die der Film nicht kann, aber das Theater.

nachtkritik.de: Welche?

Kieran Joel: Die Aufspaltung der Figur. Der Detektiv wird von fünf Spieler*innen gespielt. Alle anderen Figuren, die Verdächtigen, treten sozusagen aus ihm heraus. So jagt auch er letztlich sich selbst. Mich interessiert beim Inszenieren immer, wie es gelingen kann, dass die Form wirklich mit dem Inhalt spricht. Dass man eine Übersetzung dafür findet, was das Stück sagt, und das sinnlich erlebbar macht.

nachtkritik.de: Die Figuren interessieren sich ja weniger für Pritchets Auftrag als dafür, ihm ihre Analysen des Kapitalismus zu erörtern. Haben Sie eine Lieblingsfigur?

joelKieran JoelKieran Joel: Ich kann die Figur nachvollziehen, die sagt, wir müssen zu den Waffen greifen, ich kann die nachvollziehen, die sagt, ich verkrieche mich im Wald, genauso die zynischste, den Detektiv selbst. Der sagt, die Welt ist halt so, ich komme schon irgendwie durch. In meinen dunkelsten Stunden weiß ich, dass ich auch so funktioniere, genau wie die meistens anderen.

nachtkritik.de: Ihre Inszenierung ist sehr durchgetaktet. Welche Rolle spielen Rhythmus und Musikalität in ihrer Arbeit?

Kieran Joel: Eine große, der ganze Abend ist aufs Hören konzipiert oder komponiert. Die Spieler*innen hat das auch in den Wahnsinn getrieben, weil ich die Parts auf der Probe erst zugeteilt und immer wieder umgeschoben habe. Der Text ist quasi mit dem Taktstock durchgearbeitet.

nachtkritik.de: Wo kommt das her?

Kieran Joel: Ich weiß nicht, vielleicht aus meiner Zeit als Regieassistent und Inspizient? Ich ertrage keine kontingenten Löcher. In anderen Inszenierungen ja, aber nicht in meinen.

nachtkritik.de: Kontingente Löcher?

Kieran Joel: Momente, die nicht gebaut sind, in denen nichts dahinter steckt, wenn die Spieler*innen nicht wissen, was zu tun ist. Ich mag, wenn jeder Gedanke gefüllt ist.

nachtkritik.de: Sind ihre Inszenierungen immer so streng?

Kieran Joel: Nein, bei "Moby Dick" in Köln zum Beispiel treibt alles auf einen Höhepunkt hin – und danach weiß das Ensemble nicht mehr, was es spielen soll. Was ist gewonnen, wenn man den weißen Wal hat? Dann ist da die absolute Leere.

nachtkritik.de: "Moby Dick", ihre neuste Arbeit, ist am Kölner Theater am Bauturm entstanden. Wie wirken sich die unterschiedlichen Produktionsbedingungen in der freien Szene und am Stadttheater auf ihre Arbeiten aus?

Kieran Joel: Am Stadttheater hast du eine Idee und häufig werden gleich Zweifel daran laut. Und der Zweifel wird dann der Motor der Arbeit. Die Ängste eines nicht Nicht-Erfolges sind am Stadttheater deutlich mehr spürbar. Was sich im Umkehrschluss als Radikalität meines Ausdruckswillens und eine "Frechheit" in der Setzung niederschlägt.

nachtkritik.de: Packen Sie Klassiker anders an als zeitgenössischen Stücke?

Kieran Joel: Neue Dramatik ist eine ganz andere Sportart. Du musst viel formaler arbeiten, damit der Text hörbar und sichtbar wird. Das ist nicht "Sein oder nicht sein", wo ich mit dem Wissen des Zuschauers spielen kann und dadurch in den Diskurs komme. Nee, ich muss erst mal den Satz von Eisenach zum Klingen bringen, der muss im Raum stehen.

nachtkritik.de: Kommen wir noch zum Schluss Ihrer Inszenierung "Zorn der Wälder". Jede Szene hat ihre Lichtstimmung, ihre Farbe. Kurz vor Schluss brechen Sie mit der strengen Form.

Kieran Joel: Bis dahin setzt das Licht jeweils die neuen Impulse. Der Apparat gibt immer wieder schnelle neue Situationen vor.

nachtkritik.de: Das System beeinflusst also das Handeln der Personen, und "das Sein bestimmt dann das Bewusstsein"?

Kieran Joel: Im Prinzip ja. Aber dann gibt es diesen Moment, wo sie aussteigen, da geht das Rampenlicht an und die Spieler*innen verhandeln plötzlich selbst, scheinbar privat die ganzen Ideologien. Dabei setzen sie aber immer den Namen der betreffenden Figur wie einen Buzzer ein. Das ist ein Versuch, den Ansatz des Textes zu spiegeln. Der nimmt ja, polemisch gesagt, die Folie Film Noir, um bestimmte Inhalte zu besprechen, und setzt jeweils Figurennamen davor. Der Schluss ist dann eigentlich eine Hommage an das Spiel selbst. Die Spieler*innen gehen nach der Diskussion in die Form zurück und nehmen die Figuren wieder an: Man feiert jetzt noch einmal gemeinsam den Anfangsmonolog. Darin steckt für mich eine Utopie, nämlich das Durchspielen von Realität. Das zu leben, was in "Zorn der Wälder" verhandelt wird, ist vielleicht unmöglich. Aber wir können es durchspielen, es sinnlich erfahrbar machen, miteinander teilen, darüber sprechen. Also steigen wir mit voller Absicht wieder ins Spiel ein und fangen von vorne an. Wir spielen, egal was kommt!

 

 

 

 

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