Nur so zum Spaß

von Michael Wolf

Heidelberg, 30. April 2019. Gäbe es auch einen Preis für den oder die herausragende Schauspieler*in des Festivals, hätte ich nach dieser Vorstellung eine heiße Favoritin: Anke Stedingk. Ein Name, den sich vor allem Regisseure von Komödienstoffen merken sollten. Stedingks Talent für den Quatsch resultiert aus eisener Disziplin. Sie erzielt keine Lacher, sie erzwingt sie, behält stets die Kontrolle über die Situation, um sie dann gezielt eskalieren zu lassen. Ihre Gesichtsmuskeln exerzieren im Takt der Pointen; jedes Lüpfen von Augenbrauen, selbst das Zittern ihrer Lippen wirkt wie seit Jahren für genau diesen Abend eintrainiert. Was auch bedeutet, dass man diese Schauspielerin immer im Blick haben muss. Bloß nicht weggucken, sonst kriegt man nicht mit, wieso der Sitznachbar plötzlich so glücklich ist, warum er so gluckst.

Alle glauben sie Gewinner zu sein

Stedingk spielt "das hologramm" in Eva Langes Marburger Inszenierung von Miroslava Svolikovas "Diese Mauer fasst sich selbst zusammen und der Stern hat gesprochen, der Stern hat auch was gesagt". Als ein solches Hologramm führt sie drei Besucher durch ein Museum. Unter den Ausstellungsstücken ist ein Kugelschreiber, mit dem man einiges unterschreiben könne: "Zum Beispiel einen Vertrag, zum Beispiel einen Mietvertrag, oder einen Vertragsvertrag, oder einen Ertragsertrag. oder auch einen Gesellschaftsvertrag", erklärt sie ihren ehrfürchtig dreinblickenden drei Gästen. Ins Museum waren sie eigentlich gekommen wegen eines Preisausschreibens, alle glaubten sie die Gewinner zu sein. Später wetteifern sie um die Gunst des Hologramms, versichern ihm zehn Minuten lang, wie gut, wie interessant, wie geil sie die Führung finden. Hinzu kommt eine Putzkraft, die aber eigentlich Regisseurin ist, ein entschlossener Speichel, ein geschwätziger Stern und ein resignierter Stein.

DIESEMAUER461 700 Jan Bosch uDiese Frau hat den Durchblick: Anke Stedingk als Hologramm, Anna Rausch, Phlipp Heimke, Zenzi Huber als Figur 1-3 © Jan Bosch

Der Text der jungen, vielfach ausgezeichneten Autorin Miroslava Svolikova erscheint zunächst wie ein Flickenteppich an nervösen Gedanken, ein Wust an disparaten Einfällen, aber bei genauem Hinhören reflektieren all die skurrilen Figuren das Verhältnis des Einzelnen zum Anderen und zur Gruppe. "Ich meine, das ist auch ein politisches Stück. Ja, genau. Das ist nicht nur so zum Spaß", insistiert die Putzkraft an einer Stelle. Und es stimmt, an einigen Stellen geht es sogar sehr konkret um die Europäische Union (hier: "Die Onion"), etwa wenn der titelgebende Stern (Metin Turan) herzerweichend erzählt, wie er plötzlich so entsetzlich einsam war, als die anderen Sterne alle abgehauen sind und ihn allein am "Fundament" (oder war es die EU-Flagge?) zurückließen.

Wir dürfen den roten Faden nicht verlieren? Doch!

Regisseurin Eva Lange hat, wie ihr ganzes Ensembles, sichtlich Freude an dem Text. Er könnte in den Händen einer weniger bedachten und geduldigen Regie furchtbar anstrengend erscheinen. Hier aber wirkt die Absurdität nicht beliebig, sondern als Resultat der existenziellen Herausforderung, Teil von etwas zu sein und dabei die eigene Souveränität zu wahren. Das ist ein schwieriges Verhältnis, es kann in Einsamkeit oder in Vereinnahmung kippen. Svolikova skaliert das Problem, bezieht es auf menschliche Beziehungen, auf Politik, genau wie auf das Zeug. Der Stein ordnet sich später in eine Mauer ein, die vielleicht ganze Staaten voneinander trennt. All das Geplapper dieser schrägen Figuren dient der Variation einer Frage nach der Möglichkeit einer Zugehörigkeit bei gleichzeitiger Wahrung der eigenen Souveränität.

DIESEMAUER2741 700 Jan Bosch uKäse gefällig? Autsch! Saskia Boden-Dilling als Putzkraft, Philip Heimke, Anna Rausch und Zenzi Huber in tragenden Rollen © Jan Bosch

Natürlich gibt der Text keine Antwort auf diese ewige Frage, aber er hebt sein Scheitern blitzgescheit auf, indem er es zu seinem poetologisches Programm erhebt. Theaterbesucher sehnen sich nach einer Geschichte, einer Kohärenz im Bühnengeschehen, einem Sinnzusammenhang, dem sie folgen, nachsinnen können. "Wir dürfen den roten Faden nicht verlieren!", fordert Stedingks Hologramm, steigt ins Publikum und verbindet die roten Kleidungsstücke einzelner Zuschauer miteinander. Aber nein, genau das wäre verheerend für diese Inszenierung. Bitte kein roter Faden! Sobald er gefunden wäre, würde der einzelne, so herrlich schillernde Moment nur in einer Reihe mit den anderen stehen, ließe sich aufrollen und in eine Schublade stecken. Dann bräuchten wir nicht mehr drüber nachdenken. Da wäre das Problem gelöst. Was für ein Unglück, wenn existenzielle Grübeleien doch so viel Spaß machen wie an diesem Abend.

 

Diese Mauer fasst sich selbst zusammen und der Stern hat gesprochen, der Stern hat auch was gesagt
von Miroslava Svolikova
Regie: Eva Lange, Bühne & Kostüme: Carolin Mittler, Dramaturgie: Lotta Seifert.
Mit: Zenzi Huber, Anna Rausch, Metin Turan, Saskia Boden-Dilling, Philip Heimke, Anke Stedingk.
Dauer: 2 Stunden 10 Minuten, eine Pause

www.hltm.de

 

Mehr zu Eva Langes Inszenierung im Nachspielinterview.

 

Kommentare  

#1 Diese Mauer ...: Anke Stedingkmarlene s. 2019-05-01 19:24
Hach! Endlich der so lange schon notwendige Lobgesang auf die unfassbare Anke Stedingk. Ich kan nur nochmal hinzufügen - nicht nur Regieführende von Komödienstoffen (kleiner Genderkniff - der "Regisseur" dieser Arbeit ist übrigens eine Frau..) werden mit dieser Spielerin überglücklich.

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