Dabei wollen sie nur vögeln

von Eva Biringer

April 2019. Ivan und Ruth machen Urlaub. Eine Kreuzfahrt auf dem Amazonas, nichts für den schmalen Geldbeutel und sehr angenehm. Sie begegnen sich an Deck, zum ersten Mal nach ihrer Trennung. Kurz setzt der Atem aus. Im Prinzip ist damit die Handlung von Teresa Doplers Stück "Das weiße Dorf" auserzählt. Es treten weder die neuen Partner auf noch andere Personen. Mit dieser minimalen Anordnung erzählt die Autorin die Geschichte zweier Menschen, die ihr Glück vorbeiziehen lassen wie das sich ihnen bietende Panorama. Wie es passieren kann, dass aus jemandem, neben dem man "so gerne steht wie neben keinem anderen", das wird, was der Sänger Gotye mit seinem Lied Somebody that I used to know meint.

Ruth: wir unterhalten uns viel
Ivan: 
ja, wir beide könnten uns lange unterhalten (lacht)
Ruth: 
wir beide, das klingt schön, sag das noch einmal
Ivan: wir beide
Ruth (lacht)
Ivan: sollen wir beide uns an Deck setzen (lacht)
Ruth: ja (lacht)

Alles schon vergessen

Hinter ihnen liegt eine Beziehung, wie sie typisch ist für jene Schicht gutgebildeter Highperformer, die alles wollen vom Leben. Ruth arbeitet auf einen Sitz im Vorstand hin, Ivan trägt Verantwortung für irgendein Team. Beide definieren ihren Selbstwert durch Arbeit. Sie liest am Pool Fachliteratur, er freut sich jeden Tag darauf, seine E-Mails zu beantworten. Der Job gibt auch den Lebensmittelpunkt vor, mal ist es München, mal Wien, mal die Schweiz. Offenbar war Ivans Umzug in die USA der Trennungsgrund. Es folgten ein paar einseitige Versuche der Kontaktaufnahme, schließlich das vermeintliche Vergessen. Auffällig oft verwendet die 1990 geborene Autorin dieses Wort im Text: Ruth hat vergessen, wie gerne sie Romane las und wie traurig sie Ivans Fortgang gemacht hat, dem wiederum fällt der Titel des gemeinsamen Lieblingsbuchs nicht mehr ein, und worüber haben sie eigentlich gerade geredet? "hast du mich vermisst", fragt Ruth, "ja, aber nicht lange, auch ich habe das alles schnell vergessen, es ist so viel passiert in dieser Zeit", antwortet Ivan, worauf Ruth feststellt: "du hast Recht, es ist ein gutes Zeichen, wenn man schnell vergisst."

dopler vitaTeresa Dopler © Rafael SonntagJetzt also gibt es neue Menschen an ihrer Seite. Ben, der "das Theater liebt wie ein Kind" und die gemeinsamen Freunde mit Charlie-Chaplin-Imitationen zum Lachen bringt. Die deutlich jüngere Lea, die ohne Wikipedia das Phänomen des Encontro das Aguas erklären kann, und mit der alles sehr einfach ist, "ein gutes Zeichen". Unter diesen Umständen ist die wellenartige Anziehungskraft der Ex-Partner ein eher schlechtes Zeichen. Wie es wohl wäre, noch einmal miteinander zu schlafen? Ivan verspricht, Ruth in ihrer Einzelkabine zu besuchen. "es ist gut, dass du nicht gekommen bist", sagt die versetzte Ruth, "ich hätte mit Sicherheit geweint, vor Lust und weil du dann gegangen wärst." Stattdessen versichern sich die beiden der Lebensabschnitthaftigkeit ihrer gescheiterten Beziehung. Man wäre sich früher oder später ganz bestimmt sehr auf die Nerven gegangen.

Schon früher interessierte sich die in Linz geborene Autorin Teresa Dopler für die feinen Haarrisse menschlicher Beziehungen. Ihr Stück "Deine blauen Augen" kreist um ein Paar, das in der österreichischen Provinz vom kalifornischen Landhaus träumt. Bedauerlicherweise lässt sich ein Quittenbaum nicht so easy gegen eine Palme eintauschen – Dopler verleiht dieser gepeinigten Kreatur eine eigene Stimme, genau wie dem "Chor der Ternitzer Obstbäume".

Wir müssen immer fröhlich sein

Dopler, die in Wien Sprachkunst studiert hat, verbrachte längere Zeit in Frankreich, Portugal und Spanien. Gut möglich, dass sie dort zum Titel des Stücks fand, das jetzt am Autorenwettbewerb teilnimmt. Aber auch den Namen jenes auf einer Spanienreise entdeckten "weißen Dorfs" hat Ruth vergessen, jenes Orts, der in ihrer Erzählung zum Sinnbild einer potentiellen Glücksutopie mit ihrem Ex-Partner wird. Es sei "im Grunde nichts Besonderes", dieses Dorf, und gerade deswegen "vollkommen". Sie verabreden, im nächsten Sommer gemeinsam hin zu fahren, nur um die Idee kurz danach wieder zu verwerfen – Utopien sind nicht dazu da, erfüllt zu werden. "wir werden manchmal aneinander denken aber es wird keinen Grund geben uns nach diesem Ort zu sehnen", sagt Ivan, "alles wird in Ordnung sein, wir werden sehr beschäftigt sein und es wird uns gut gehen, es wird keinen Grund geben, uns nach irgendetwas zu sehnen". Ruth lacht. Es wird, und das ist das Traurige an diesem Text, wahnsinnig viel gelacht.

Dieses Heiterkeitsdiktat verleiht Doplers Stück seine Schärfe und Trostlosigkeit. Formvollendet wird brodelndes Begehren unter Höflichkeitslawinen begraben. Wie gut ihr zusammen ausseht! Wie gebildet sie ist! Was für ein netter Abend, das sollten wir unbedingt wiederholen! Dabei wollen sie doch einfach nur vögeln. Von der Stimmung her erinnert das an Leif Randts "Schimmernder Dunst über Coby County", eine von den Unzumutbarkeiten des Daseins abgetrennte Welt, in der alle immer ausgeglichen und happy sind, und sei es nur deswegen, weil sie wie Ruth mittags mit dem Weißweintrinken beginnen. Ein Heiterkeitsdiktat, das, nebenbei bemerkt, real ist. Gelacht wird eigentlich immer, aus Unsicherheit, Höflichkeit, Zustimmung, Gewohnheit, selten weil man etwas lustig findet. ☺ und :-) wohin man schaut. Es ist zum Heulen.

Was wäre wenn

"ist es nicht wunderbar, dass man vergessen kann", fragt Ivan, und Ruth pflichtet bei: "ja, das ist es wirklich, man könnte sonst keinen Tag leben.“ Hinter all dem steckt auch die Angst vor einer Beziehung, die nicht lauwarm ist, sondern so heiß, dass man darüber seine Geschäftsmails vergisst. Hier lässt Teresa Dopler die Natur sprechen.

"ich dachte, dass einen die Luft überwältigt, ich dachte, dass diese Hitze einfach alles übertrifft, was ich bisher gekannt habe, kurz war ich dann enttäuscht", bemerkt Ruth im Hinblick auf das Amazonasklima, um dann einzulenken: "es ist besser so, es wäre auf Dauer wahrscheinlich zu anstrengend." Am Ende spielen die beiden ein Was-wäre-wenn-Spiel. Wer von ihnen würde den anderen retten, wenn er über Bord ginge? Ruth macht diese Frage traurig, Ivan entschuldigt sich, das sei dumm gewesen. "ja ziemlich dumm, lass uns das vergessen", sagt Ruth, und dann lacht sie.

 

Lesung von "Das weiße Dorf" am zweiten Tag des Autor*innenwettbewerbs, Sonntag 28. April 2019, 13.30 Uhr im Alten Saal

 

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