Hallo, ist das die Terror-Hotline?

von Sophie Diesselhorst

Heidelberg, 1. Mai 2019. Tag der Arbeit! Tag der Gewerkschaften. Vormittags zog ein kleiner Demonstrationszug mit IGMetall-Flaggen über die Heidelberger Hauptstraße. Abends wird im Marguerre-Saal des Theaters erklärt, wie der Neoliberalismus als ersten und wichtigsten Schritt zu einer "Utopie der Freiheit" die Gewerkschaften zerschlagen hat. Sie sind noch da, aber zahnlos. Sagt "Verteidigung der Demokratie", die am Volkstheater Wien entstandene "Politshow" von Christine Eder und Eva Jantschitsch, die mit aufklärerischem Anspruch in die Geschichte ausgreift.

Die Demokratie wird einmal gründlich durchgecheckt und bekommt am Ende eine Burn-Out-Diagnose, wenn die fünf Schauspieler*innen sich wild durcheinanderredend Schlagworte an den Kopf werfen, während sie auf den aufgehäuften Kartons, die zu Anfang des Abends eine Mauer bildeten, im Kreis laufen. Eine Mauer von vorne ist ein zweidimensionales Bild, und leider ist und bleibt diese Politshow auch zweidimensional, nachdem die Mauer in ihre Bestandteile zerlegt ist. Ins Szenische will sich hier nichts öffnen, gesprochen wird nur nach vorne, und der Ernst der Lage wird unterstrichen dadurch, dass die Spieler*innen graue Anzüge tragen. Allerdings war beim Gastspiel in Heidelberg die Musikerin Eva Jantschitsch alias Gustav wegen Krankheit verhindert, ihre Lieder wurde eingespielt und von Schauspielerinnen-Playback begleitet, was den Effekt dieser prominenten Ebene der Inszenierung sicher abgeschwächt hat.

Verteidigung N 700 LupiSpumaSie folgen der Spur des Neoliberalismus © Lupi Spuma

Als Folie für die Demokratie-Diagnose dient die Lebensgeschichte des österreichischen Verfassungsrechtlers Hans Kelsen, Architekt der 1920 in Kraft getretenen (und immernoch gültigen) österreichischen Verfassung. 1929 ging er nach der Gleichschaltung des österreichischen Verfassungsgerichts nach Deutschland und emigrierte 1933 erst in die Schweiz, später in die USA, nachdem ihm seine Professur in Deutschland von den Nationalsozialisten aberkannt worden war, weil er aus einer jüdischen Familie stammte. Die Schauspieler*innen rezitieren Passagen aus Kelsens rechtsphilosophischen Schriften: "Ein Einwand, den man als Demokrat gegen die Demokratie machen kann: Sie ist diejenige Staatsform, die sich am wenigsten gegen ihre Gegner wehrt. (…) Bleibt sie sich selbst treu, muss sie auch eine auf Vernichtung der Demokratie gerichtete Bewegung dulden, muss sie ihr wie jeder anderen politischen Überzeugung die gleiche Entwicklungsmöglichkeit gewähren."

Kelsens Gedanken helfen auch bei vielen Fragen, die man sich heute stellen kann. Es ist absolut nachvollziehbar, warum er der Inszenierung als Kronzeuge der Geschichte dienen soll. Aber sie werden auf dieser chronologischen Tour de Force durch die letzten hundert Jahre dermaßen eilig dargeboten, dass es manchmal fast wirkt, als sollten sie gar nicht zur Diskussion gestellt, sondern mit anzugtragender Souveränität oder in den Liedern von Eva Jantschitsch musikalisch erhöht als Wahrheit präsentiert werden, die alles erklärt, ob es die Nazis sind oder der Aufstieg des Neoliberalismus, ob es das Pinochet-Regime in Chile ist oder 9/11 und die Kriege, die folgten. Am eifrigsten wird die Stimmung, wenn es um die Mont Pelerin Society geht, die Denkfabrik des Neoliberalismus, und darum, sichtbar zu machen, wo die neoliberale "Utopie der Freiheit" überall eingesickert ist als ideologisches Gift. Eine wirklich klare These zum Zusammenhang mit dem Aufstieg antidemokratischer Rechtspopulisten produziert der Abend aber nicht.

Die Kosten der Freiheit

Am ehesten noch in den Ausflügen ins heute, wenn besorgte Bürger*innen bei einer Terrorhotline der Regierung anrufen und "Verfassungs-Experte xyz" ihnen in jovialem Ton erklärt, warum die staatliche Überwachung ausgeweitet wird und Grundrechte wie die Unschuldsvermutung ausgehebelt werden: "Für die Feinde der Gesellschaft gelten andere Rechte." Freiheit kann nur auf Kosten der Gleichheit garantiert werden, und den Glauben an die Freiheit hat die Mont Pelerin Society uns so gründlich eingeimpft, dass wir gar nicht sehen können, dass uns unter fadenscheinigen Vorwänden gerade die Freiheiten genommen werden, auf die es fürs Weiterbestehen der Demokratie ankommt. Aber zur Sicherheit wird noch einmal eilig hinterhergeschoben: "Neoliberalismus ist hegemonial geworden."

Bitter ist die Hotline-Szene gegen Ende, in der ein überwachungsskeptischer Anrufer zum Verschwörungstheoretiker stilisiert wird, obwohl er den Finger in die Wunde legt und seine Überwachungs-Fantasien (NSA) größtenteils belegt sind. Aber er hat keine Chance ernstgenommen zu werden von einer demokratisch gewählten Regierung, die einem demokratischen Grundwert nach dem anderen Adieu sagt. Hoffnungsfunken gibt’s hier nicht, und so kann man im Endeffekt beinah froh sein, dass die Dystopie papiern bleibt.

 

Verteidigung der Demokratie
Politshow von Christine Eder und Eva Jantschitsch
Regie: Christine Eder, Musikalische Leitung, Komposition, Liedtexte: Eva Jantschitsch, Bühnenbild: Monika Rovan, Kostüme: Alice Ursini, Video: Philipp Haupt, Licht: Jennifer Kunis, Dramaturgie: Roland Koberg.
Mit: Thomas Frank, Nils Hohenhövel, Katharina Klar, Christoph Rothenbuchner, Birgit Stöger; Band: Eva Jantschitsch, Didi Kern, Imre Lichtenberger Bozoki, Elise Mory.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.volkstheater.at

 

Zur nachtkritik von Verteidigung der Demokratie am Volkstheater Wien im Oktober 2018

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