Klassenkampf von oben

von Michael Wolf

Heidelberg, 28. April 2019. Vor ein paar Wochen sorgte eine Nachricht für Kopfschütteln. Der Cum-Ex-Skandal wird wohl keine strafrechtlichen Konsequenzen nach sich ziehen. Die Behörden verfügen nicht über genug Personal, um vor Ablauf der Verjährungsfristen Anklagen zu erheben. Davon wusste der Regisseur Helge Schmidt noch nichts, als er im Oktober 2018 seine Arbeit "Cum-Ex Papers" am Hamburger Lichthof Theater herausbrachte. Aber vielleicht hat er es geahnt. "All die Menschen, um die es gehen wird, sind Verbrecher. Nicht vom Gesetz verurteilte Verbrecher zwar, die höchstrichterlichen Urteile stehen noch aus, aber dann zumindest moralische Verbrecher", lässt er Ruth Marie Kröger zu Beginn verkünden.

Cum Ex 700 Anja Beutler uRuth Marie Kröger, Günther Schaupp, Jonas Anders (hinter Glitzer) © Anja Beutler

Der Abend ist eine moralische Anklage, die eine juristische ersetzt. Das Theater muss nun richten, woran das Gesetz scheitert. Die Straffreiheit der Banker und Bankster verleiht der Inszenierung ein gutes halbes Jahr nach der Premiere noch einmal einen Schub Aktualität; das ist im trägen Theaterbetrieb selten der Fall. So kann sie funktionieren, die Verbindung des Journalismus mit dem Theater. Beim Stückemarkt kennt man diese relativ neue Entwicklung schon. Vor zwei Jahren gastierte die Dortmunder Inszenierung Die schwarze Flotte. Das Stück über Waffen-, Drogen und Menschenhandel im Mittelmeer beruhte auf Recherchen des Recherchezentrums CORRECT!V, das – neben der ARD – auch den Stoff für Schmidts Inszenierung lieferte.

Die Füchse im Hühnerstall

Im Zentrum steht die Geschichte eines Kronzeugen namens Benjamin Frey. Jonas Anders erzählt mit leuchtenden Augen, wie er als junger Jurist zu einem obszön dekadenten Dinner einer Kanzlei eingeladen wurde. "Das Testosteron lief von den Wänden!" Wenig später gehört er dazu, wird vom sinistren Fädenzieher Hanno Berger protegiert. Berger war früher mal Bankenprüfer, wechselte dann aber – das große Geld lockte – die Seiten. Anders als Benjamin Frey ist Berger kein Pseudonym. Den Mann gibt es wirklich, er gilt als Schlüsselfigur bei der Entwicklung der windigen Finanzgeschäfte. In Projektionen sehen wir ihn in Interviews, wie er Vorwürfe bestreitet. Später schaufelt ihm Anders mit verzweifelter Empörung silberne Glitzerstreifen ins Gesicht. Das soll heißen: Er hat den Hals nicht vollgekriegt.

Auch an anderen Stellen geht das dreiköpfige Ensemble (neben Kröger und Anders auch Günter Schaupp) wenig subtil vor: Da vergleichen sie den Staatshaushalt mit einem Hühnerstall und den Fonds-Manager mit einem Fuchs – und Anders zieht sich tatsächlich eine Fuchsmaske auf. Da stellen sie die Banker als zwar reiche, aber primitive Trottel dar, die – besoffen vom Geld – nur noch Einwortsätze ("Porsche! Dubai! Geil!") vor sich hin sabbern können. Da laufen die Drei mit Skimützen und Geldsäcken über die Bühne.

Cum Ex2 700 Anja Beutler uBankster at work © Anja Beutler

Die Mittel sind plakativ, aber durchaus konsequent gesetzt. "Cum-Ex Papers" wertet die da unten (im Parkett) auf und stürzt "die da oben" vom Thron. Das dreiköpfige Ensemble bestreitet entschieden ihren Elitestatus, präsentiert die Banker als Diebe, die den Staat und damit das Gemeinwesen ohne Skrupel ausrauben. Wenn das Ensemble Geld aus dem Publikum einsammelt, dann zum einen, um es daran zu erinnern, dass die zu viel erstatteten Steuern ihr Geld waren, dass es sich um einen Griff in ihre Taschen handelte. Und außerdem, um die Abstraktion der Finanzmärkte herunterzubrechen, und die Zuschauer damit zu ermächtigen. Seht her, es sind nicht "Die Märkte", die uns das Geld aus der Tasche ziehen. Es sind ein paar Menschen, gierige – und damit schwache – Menschen, die sich als bessere Menschen fühlen. "Es ist ein Klassenkampf von oben!", sagt der Journalist Christian Salewski (im Video).

Und so trotzt die Inszenierung dem Finanzskandal letztlich noch einen Gewinn ab. Das Geld mag weg sein, in der (Staats)kasse des Publikums fehlen, aber immerhin kriegt es an diesem Abend etwas zu lachen und ein Ziel für seine Empörung präsentiert. Und damit – so steht zu befürchten – fordert das Theater an diesem Abend entschiedener Genugtuung als die Justiz.

Cum-Ex Papers
Regie: Helge Schmidt, Choreographie: Jonas Woltemate, Recherche und Text: Franziska Bulban und Alexandra Rojkov, Ausstattung: LANIKA (Lani Tran-Duc und Anika Marquardt), Video: Johanna Seitz, Musik: Frieder Hepting, Licht: Sönke C. Herm, Produktionsleitung: Zwei Eulen, Produktionsassistenz: Laura Uhlig.
Von und mit: Ruth Marie Kröger, Jonas Anders, Günter Schaupp.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.lichthof-theater.de

 
Hier die Nachtkritik von der Hamburger Premiere der Cum-Ex Papers im Oktober 2018.

 

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