Ein bewegender Mann
von Simone Kaempf
Heidelberg, 27. Mai 2019. Als Dramatiker ist Rosa von Praunheim ein Spätzünder. Zwar wurden ihm schon vor Jahrzehnten Theaterarbeiten gewidmet, Rainer Werner Fassbinder betitelte 1969 eine Arbeit mit dem antitheater nach ihm. Da war Praunheim tatsächlich schon so bekannt als Dokumentarfilmer wie heute. Aber der Durchbruch zum Godfather der bundesdeutschen Schwulenbewegung stand erst noch bevor, zum Provokateur wie Aktivisten gleichsam, der in den bundesrepublikanischen Biedersinn einschlug wie eine Bombe.
Kabarettistische Glanznummern
In dem Stück "Jeder Idiot hat eine Oma, nur ich nicht" rekonstruiert Praunheim seine Biographie anhand seiner Filme, aktivistischen Aktionen und TV-Auftritten wie dem aufsehenerregenden Coup im Jahr 1991, als er Hape Kerkeling und Alfred Biolek als schwul outete und so zum öffentlichen Coming-out zwang. Aber auch seine Familien- und Jugendgeschichte ist Thema. Von ehemaligen Liebhabern wird erzählt, von Erlebnissen aus New Yorker Schwulenclubs und vor allem von: Sex, nochmal Sex, Analverkehr, Penetration und allem, was damit zusammenhängt. Der Ehrlichkeits-Level ist hoch. Der Text mäandert mit seinen Anekdoten und Lebensstationen zwischen Provokation, Glückssuche, Lebens-Traurigkeiten und -weisheiten. Praunheim hat auch selbst Regie geführt.
Aber Text und seine Regie sind nur die eine Hälfte des Spaßes, denn da stehen mit Heiner Bomhard und Božidar Kocevski zwei Schauspieler auf der Bühne, die den Abend erst so richtig in den bewusstseins-erweiternden Spielwitz führen. Launig geht es los mit Bomhard als Musiker am weißen Klavier und Kocevski, der eigentlich singen soll, aber erstmal eine zeternde Heulsusen-Lampenfieber-Suada abgelegt und dann zwei Stunden lang kabarettistische Glanznummern abfeuert, die noch ganz andere Klischees unterlaufen.
Kleiner Penis, süß und böse
Liebenswerte Exzentrik, explizite Erzählungen, sexistische Witze, aber auch Trieftrauriges über sterbende Freunde - von allem ist etwas dabei an diesem Abend. Auch ausgestellte Körperlichkeit, und in der ist Kocevski hochkomisch, wenn er mit superdicker Beule in der körperbetonten Glitzerhose nach allen Seiten den Hintern raustreckt, tänzelt, Tiere wie Menschen nachahmt und in unterschiedlichste Figuren schlüpft. In der Hose steckt natürlich ein Dildo, der er in einer Deep-Throat-Parodie wie ein Feuerschlucker in den eigenen Schlund wandern lässt. "Alles für die Kunst", ruft er vorher verschwörerisch ins Publikum. Denn wo Praunheims Text explizit wird, dürfen die beiden Schauspieler kommentieren, veralbern und eigene Haltungen einbauen.
Bomhard ist auf der Bühne das sanftere Alter Ego, vor allem hat er aber Liedtexte des Stücks vertont, Original Praunheim-Texte à la "Kleiner Penis, süß und böse. Nicht so gut wie eine Möse“. Wenn beide Schauspieler Penis oder den Analverkehr besingen, dann schwappt dieser großartige Klamauk direkt ins Heidelberger Publikum. Denn die Entfesslung des Witzes macht wach und wacher und entdämonisiert eine Moral, von der etwa in den eingespielten Film-Ausschnitten die Rede ist – das Material stammt noch aus einer Zeit, als Schwulsein kriminalisiert wurde.
Wer wirklich Berührungsängste oder auch nur ein Unbehagen verspürt, wird raffiniert über alle Schwulen- und Männerklischees hinweggeführt. Auch über die Klischees der Geschlechter, denn ja, um Frauen geht es auch. Jeder bekommt sein Fett weg. Die entwaffnende Offenheit, mit der Rosa von Praunheim seine Themen stets in seinen Filmen verarbeitete, erzeugt auch an diesem Theaterabend große erhellende, befreiende und überschwappende Wirkung. Das Heidelberger Publikum jedenfalls strömte wie euphorisiert zum fast mitternächtlichen Publikumsgespräch, als wollte es sein Theatererlebnis nicht mehr loslassen.
Jeder Idiot hat eine Oma, nur ich nicht
von Rosa von Praunheim
Uraufführung
Regie: Rosa von Praunheim, Bühne / Kostüme: Viktor Reim, Musik: Heiner Bomhard, Dramaturgie: Ulrich Beck.
Mit: Heiner Bomhard, Božidar Kocevski.
Dauer: 2 Stunden 10 Minuten, eine Pause
www.deutschestheater.de
Mehr zu "Jeder Idiot hat eine Oma..." auch auf nachtkritik.de in der Kolumne von Georg Kasch, in der er sich über den Abend Gedanken machte.