Ein Hoch auf die Bakterienkönigin

von Sophie Diesselhorst

Heidelberg, 3. Mai 2019. "Die Forschung ist eine Maschine, die Blödheit in Klugheit verwandelt", erklärt der Forscher Ehrlich dem Forscher Behring, und zusammen werfen sie die Maschine an, drehen an den großen Rädern, die auf der Bühne stehen und an denen mit Flüssigkeit gefüllte Reagenzgläser stecken, die ihren Inhalt wie in einer Zentrifuge durchschütteln.

1901 war Emil von Behring der erste deutsche Medizinnobelpreisträger – er bekam den Preis für die Diphterie-Impfung, die er zusammen mit Paul Ehrlich entwickelt hatte. Oliver Schmaering hat aus der Forschungsgeschichte ein Theaterstück destilliert und sie überhöht zu einer Superheldengeschichte, in der Behring und Ehrlich gegen die Bakterienkönigin Coryne antreten, um das letzte Mädchen, Ultima, vor dem "Würgeengel der Kinder" zu retten.

Älter als die Dinosaurier

In Hanna Müllers Inszenierung vom Theater an der Parkaue gewann das Stück 2018 den Mülheimer Kinderstückepreis. Behring (Erik Born) und Ehrlich (Andrej von Sallwitz) sind hier verrückte Professoren, wie sie im Buche stehen. Sie verheddern sich in einer Diskussion darüber, ob man sich heute schon Guten Morgen gesagt hat. Sie blättern auf ihrem altmodischen Holztisch hektisch in Büchern, und als Laura Lippmann als Bakterienkönigin den Tisch erklimmt und die Menschen verhöhnt, die denken, sie könnten die Bakterien besiegen, die es doch schon viel länger gibt ("Wir kannten die Dinosaurier") fängt Behring gar an sie mit Büchern zu bewerfen.

In dir schlaeft 1 700 Christian BrachwitzIm Forschungsfieber: Erik Born als Wissenschaftler in "In dir schläft ein Tier" © Christian Brachwitz

Diese kleinen Lächerlichkeiten sind aber nur Symptome ihres Forschungsfiebers. Und das ist ansteckend wie die Krankheit, gegen die sie einen Impfstoff suchen – und finden, dank Vernunft und Intuition, auch dank ihrer Konkurrenz, die sie zu Höchstleistungen trieb. Mit dem unschönen Ergebnis, dass Behring den Erfolg für sich allein reklamierte. Das problematische Verhältnis der beiden wird in Oliver Schmaerings Stück nur atmosphärisch angedeutet.

Impfung ist zurzeit ein Reizthema, und "In dir schläft ein Tier" positioniert sich klar als Plädoyer für die Wissenschaft. Eine Wissenschaft, die Probleme liebt, weil sie weiß, dass sich darunter Lösungen verbergen, und dementsprechend legt Sophia Hankings-Evans die grüne Daunenjacke, die sie als "Problem" trägt, irgendwann ab und steckt als "Lösung" in einem pinken Tüllgewitter. Eine Wissenschaft, die sich vor der Bakterienkönigin nicht ekelt, sondern fasziniert von ihr ist, die als Versuchung im langen weißen Abendkleid auftritt.

Plädoyer gegen die Angst

"Vielleicht stell ich mir vor fürchten sie einfach / Dass noch mehr Fremdes in ihrem Körper lebt / Dass mehr Unbekanntes in ihren Adern wohnt / Dass man mit jeder Spritze ein bisschen ein Anderer wird / Sie fühlen sich wie eine Ratte in einem Forschungslabor / Weniger als Mensch und mehr als Tier“ sinniert Ultima, die am Ende wieder ein ganz normales Mädchen ist, über die Motivation der Impfgegner. Ein Mitschüler von ihr will sich nicht impfen lassen.

Dabei hat die Bakterienkönigin ja gerade noch aufgezählt, wieviele Bakterien im menschlichen Körper siedeln, ohne dass wir davon irgendetwas merken. In dir schläft nicht nur ein Tier: Das Fremde ist schon da, und Oliver Schmaerings sprachakrobatisches Stück in dieser schwungvollen Inszenierung ein treffliches Gegengift gegen die Angst davor.

In dir schläft ein Tier
von Oliver Schmaering
Regie: Hanna Müller, Bühne: Marie Gimpel, Kostüme: Nina Gundlach, Musik: Felix Weigt, Dramaturgie: Almut Pape.
Mit: Erik Born, Sophia Hankings-Evans, Andrej von Sallwitz, Laura Lippmann, Nina Maria Wyss.
Dauer: 50 Minuten, keine Pause

www.parkaue.de

 

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