Kleines Ego, großes Schwert

von Georg Kasch

Heidelberg, 30. April 2019. Wer das Goldene Vlies will, darf nicht zimperlich sein. "Wieder alle tot?", fragt jemand nach einer der vielen Schlachten. "Ja, wieder alle tot", sagt die Argo, das personifizierte Wunderschiff. Und das alles für was? Für eine billige, goldschimmernde Discounter-Jacke, die nur so lange Wert besitzt, solange man ihr einen zuschreibt. Und dann gibt’s zur Belohnung noch nicht mal das eigene Königreich, sondern einen Ehekrach samt weiterem Blutbad.

Was ist ein Held? Was ist Liebe? Was Heimat, was eine Geschichte? Große Fragen, die Kristo Šagor, hier als Autor, sonst auch als Regisseur ein Experte für jugendliche Seelenlagen, in "Iason" anreißt. Im Schnelldurchlauf erzählt er die Argonautensage, mit entscheidenden Nuancenverschiebungen. Denn der Stoff heißt fast überall "Medea", bei Euripides, Seneca, Corneille, Grillparzer, Hans Henny Jahnn, Christa Wolf und Kolleg*innen. Benannt nach jener kolchischen Zauberin und Frau, die zuerst aus Liebe tötet, später aus Wut, Hass, Enttäuschung; Opfer und Täterin zugleich.

Mythologie als Pop

Hier aber steht nun Iason im Mittelpunkt der Erzählung. Er ist weder der Hellste noch besonders tatkräftig und mutig. Sondern einer, dem der Thron weggenommen wird und der deshalb einer auf ihn projizierten Rolle hinterherläuft. Seine größte Angst: nicht zu genügen. Also versucht er, mit Meeresabenteuer, Schlachtengetümmel und der Eroberung des Goldenen Vlieses sein Minderwertigkeitsgefühl zu ersticken. Vergebens. Überdies reißt er nicht nur seine Kameraden und ganze Völker, sondern auch Medea ins Verderben. Ein Held? Und selbst wenn ja: Brauchen wir so was?

Šagors Clou: Die Figuren auf der Bühne verkörpern nicht nur, sondern erzählen und kommentieren auch laufend die Handlung. Lässig jonglieren sie mit den Zutaten der griechischen Mythologie, bedienen sich aber auch entspannt bei popkulturellen Phänomenen wie den Konflikten aus "Herr der Ringe", wenn die helfen können, dem jugendlichen Zielpublikum antike Verhältnisse nahezubringen.

Iason Jedermann

In Jörg Wesemüllers Braunschweiger Uraufführung wechseln sechs Darsteller*innen fliegend Rollen und Kostüme, spielen sich höchst entspannt die Bälle zu. Auf einer ganz mit schwarzer, Falten werfender Plastikfolie bedeckten Spielfläche, die ebenso das dunkle Meer ist wie die schwarze Erde Kolchis’, stehen ein Trampolin, eine Schräge, ein Spiegelpodest. Aus ihnen werden kraft des Spiels konkrete Orte: Auf dem Schiff schwanken sie sanft hin und her, das Trampolin wird zur Walstatt und die Spiegelkammer zum Königspalast.

Iason76 700 bettinaStoessEine Hochzeit und vier Blutbäder: Luca Füchtenkordt, Johannes Kienast, Cino Djavid, Götz van Ooyen, Isabell Giebeler, Saskia Taeger © Bettina Stöß

Hochkomisch ist die virtuose Schlachteplatte samt trockenem Kommentar oft, temporeich inszeniert und hinreißend aufgedreht gespielt: Saskia Taeger gibt ihren Göttinnen und dem personifizierten Schiff eine ordentliche Portion Coolness, Götz van Ooyen seinen Königen und Feinden raubeinige Machoallüren, Isabell Giebeler verleiht ihrer Medea sanfte, nachdenkliche Züge. Mitten hindurch stolpert Cino Djavids staunender Iason, ein naiver Jüngling ohne besondere Eigenschaften, der alles richtig machen will, aber von seinem inneren Drachen immer wieder zu vermeintlichen Heldentaten getrieben wird, die sich als unmenschliche Blutbäder erweisen – kleines Ego, großes Schwert. Bei den Frauen ist er ohnehin unsicher. Erst wenn sie die Führung übernehmen, klappt’s mit dem Gefummel.

Dabei verraten weder Šagor noch Wesemüller und Djavid ihren Helden. Er ist einer, der zu sehr will, was andere wollen, dabei den eigenen kritischen Impulsen zu wenig traut. Ein nicht unsympathischer Durchschnittstyp, ein Jedermann. Ein Mörder, ein Verräter. Ein Mensch, der am Ende sehr einsam zurückbleibt.

Iason
von Kristo Šagor
Regie: Jörg Wesemüller, Bühne und Kostüme: Jasna Bošnjak, Dramaturgie: Kathrin Simshäuser.
Mit: Cino Djavid, Luca Füchtenkordt, Isabell Giebeler, Johannes Kienast, Götz van Ooyen, Saskia Taeger.
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause

staatstheater-braunschweig.de

 
Zum Essay über die Jugendstücke

 

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