Schmutzige Wäsche waschen
von Verena Großkreutz
Heidelberg, 4. Mai 2019. "I love you Turkey". Klingt zunächst ironisch: der Titel des Theaterstücks von Ceren Erkan, mit dem das BBT Istanbul, das städtische Theater aus dem oppositionellen Arbeitervorort Bakirköy beim Heidelberger Stückemarkt für Begeisterung sorgte. Die Kompagnie um den Film- und TV-Star Alican Yücesoy setzte mit diesem Stück bereits ein Highlight beim Internationalen Istanbuler Theaterfestival 2017. Dass dieser mutige, hochpolitische Abend in der Türkei so gespielt wird, ist kaum zu glauben. Denn es geht darin vor allem um diese Frage: Gibt es unter den derzeitigen politischen Zuständen eine Zukunft für junge Intellektuelle und Künstler*innen?
Wasser-Sperrungen und andere Drangsalierungen
Gründe, die dagegen sprechen, gibt es genug, und die kommen an diesem Abend ausführlich auf der Bühne zur Sprache: etwa brutale Polizeieinsätze gegen die Gay-Pride in Istanbul, Kündigungen wegen politischer Aktivitäten, Drangsalierungen wegen ethnischer Herkunft. Die Umsetzung meistert das Ensemble in einem Affenzahn, so dass das deutsche Publikum den Übertiteln kaum folgen kann.
Der Abend ist übervoll mit mitreißenden Szenen, die befeuert werden von der Spielwut und dem Engagement der fünf Darsteller*innen. Es geht in "I love you Turkey" um fünf junge Leute: einen homosexuellen Radiomoderator (Emre Koç), eine arbeitslose Wissenschaftlerin (Damla Karaelmas Gökhan), eine Übersetzerin (Irem Sultan Cengiz), eine Journalistin in Mutterschutz (Defne Sener Günay) und einen Waschsalonleiter (Alican Yücesoy). Weil ihnen das Wasser in ihren Wohnungen abgestellt wurde (vermutlich durch staatlichen Eingriff, wogegen die Übersetzerin durch dauerhafte Körperreinigungsverweigerung protestiert), müssen sie ihre Wäsche im Waschsalon waschen.
Kleidung durchwühlen
Das Bühnenbild ist ausgesprochen minimalistisch. Eine helle, quadratische Spielfläche, einige Riesenplastiksäcke voller Schmutzwäsche, die immer wieder Verwendung findet – etwa in einer furiosen Kleiderwechselszene, aus der der Salonbesitzer ziemlich eingeschnürt hervorgeht: gefangen in einem grotesken Panzer aus viel zu engen Shirts, Jacken und Batikleggins. Ein treffliches Bild für seinen Zustand: Bei Facebook gepostete alte Jugendfotos wurden dem 40-Jährigen zum Verhängnis. Wegen angeblicher kommunistischer Verbindungen ist er gesellschaftlich erledigt, bis ihm die Regierungsbehörde als einzigen Ausweg die Leitung eines Waschsalons anträgt, dessen Zweck allein die Bespitzelung vermeintlich Oppositioneller ist. Dass er unter dieser Aufgabe leidet, ist offensichtlich. Übergriffig wird er dennoch. In seiner Verzweiflung sperrt er alle im Salon ein, dann sucht er in den schmutzigen Klamotten nach Hinweisen auf oppositionelle Tätigkeiten.
Welche Möglichkeiten gibt es für die jungen Leute? In einer rasanten Szene wird die Flucht ins Ausland durchgespielt. Die fünf packen ihre Kleidersäcke und rennen los, landen in Europa und preisen sich dem Publikum an, wollen mit allen Mitteln überzeugen, damit sie bleiben dürfen: "Ich kann Fremdsprachen sprechen", "Mein Schweiß riecht nicht", "Ich hab zwar dunkle Haare, aber grüne Augen", "Ich kann eure Scheiße besonders gut entfernen", "Ich bin 'Brain-Drain'".
Zurück ins gesellschaftliche Leben
Gerade, als das Publikum glaubt, dass die fünf nur eines wollen: raus aus der Türkei, kommt der Cut: Zurück in die Realität. Da wird klar, dass sie ihr Land nicht verlassen wollen, selbst wenn sie es könnten. Gemäß dem Zitat, das als Motto des Abends im Raum zu stehen scheint, ein Ausspruch Rainer Werner Fassbinders – sinngemäß: "Ich habe auch Angst, aber ich werde bleiben um weiterzumachen." Am Ende schleppt die Übersetzerin einen Krug Wasser auf die Bühne und beginnt sich zu waschen, das erste Mal nach 120 Tagen. Sie entschließt sich, am gesellschaftlichen Leben wieder teilzunehmen. Das Ganze endet in einer euphorischen fröhlichen Wasserschlacht. Klar bleibt jedoch: "I love you turkey" ist nicht ironisch gemeint, sondern sehr, sehr ernst.
I love you Turkey
von Ceren Ercan
in türkischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Regie: Yelda Baskın, Bühne und Lichtdesign: Cem Yilmazer, Kostüme: Selin Ölcen, Musik: Okan Kaya.
Mit: Alican Yücesoy, Define Sener Günay, Irem Sultan Cengiz, Emre Koc, Damla Karaelmas Gökhan.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
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