Deutliche Botschaften
von Michael Wolf
Heidelberg, 5. Mai 2019. Zum Abschluss gab's noch etwas Pathos. "Ich widme diesen Preis den Kurden, den Schwarzen, den Geflüchteten, den Migranten und allen, die irgendwo fremd sind“, verkündete Ömer Kaçar, der den mit 5.000 Euro dotierten internationalen Autor*innenpreis erhält. Auch der Publikumspreis des Stückemarkts geht an sein Stück "Der Gast" ("Misafir"). Darin erzählt eine Familie, wie sie einen Fremden in ihr Haus aufnimmt. Alles geht einigermaßen gut, bis das teure Service verschwindet. Klar, wen sie nun für den Diebstahl verantwortlich machen.
Der Text ist eine politische Parabel, eine Komödie mit dem Herz auf dem richtigen Fleck. "Kaçars Stück untersucht die gesellschaftliche Keimzelle von Feindlichkeit, Hass und Gewalt", heißt es in der Jury-Begründung.
"Der Gast" lebt allerdings etwas zu sehr von dieser politischen Stoßrichtung; die Handlung ist recht vorhersehbar, die Botschaft überdeutlich ausbuchstabiert. Immerhin wagt Kaçar mehr als seine Konkurrentin Fatma Onat. In Gefüllte Weinblätter mit Ruß erzählt sie von misshandelten Frauen, die sich miteinander solidarisieren. Der Text ist sehr prosaisch, scheint lieber Buch als Stück sein zu wollen und hangelt sich an Klischees entlang.
Halil Babürs Das Feuer in mir hingegen hätte ein würdiges Siegerstück abgegeben. In fünf Szenen treffen hier Figuren aufeinander, die zwar immer dieselben Namen tragen, sich aber in wechselnden Konstellationen und Situationen behaupten müssen. Die Stimmung ist unheimlich, eine Bedrohung liegt in der Luft, vielleicht steht gar die Apokalypse bevor. Babür riskiert am meisten, hält seinen Text offen, zielt auf Atmosphäre statt Eindeutigkeit. Die Auszeichnung seines Stücks wäre die mutigere Wahl gewesen.
Jugendstückepreis: Kleines Ego, großes Schwert
Immerhin die Kinderjury entschied sich für ein Abenteuer. Ausgezeichnet haben sie Kristo Šagors Stück Iason, das in Jörg Wesemüller Braunschweiger Inszenierung nominiert war. Das Stück erzählt im Schnelldurchlauf die Argonautensage, nimmt der Geschichte aber auch den Helden, entmythologisiert den Mythos gut gelaunt.
Iason ist hier letztlich ein armer Wicht. Wie wird man ein Held?, fragen sie am Anfang. Wozu brauchen wir Helden?, fragt man sich am Ende. Die Botschaft ist lehrreich und kommt ohne nervige Didaktik aus. Dieses Stück wird seinen Weg machen.
Genau wie Markolf Naujoks Stückentwicklung Every heart is built around a memory, die das Staatstheater Kassel ins Rennen schickte. Naujok verbindet hier das Thema Videospiele mit dem Verlust eines Familienmitglieds. Oliver Frljić' Nathan hingegen setzte ein Ausrufezeichen für politisches Jugendtheater. Auf Lessing basierend, verbindet er vielfältige Themen wie den Holocaust, den Nahostkonflikt und Waffenhandel in einer düsteren Atmosphäre. Ein bisschen schade ist es daher schon, dass "Nathan" nicht gewonnen hat, forderte diese Arbeit doch dem jungen Publikum am meisten ab.
Nachspielpreis: Gemeinschaft ist möglich
Ganz einverstanden darf man hingegen mit der Auszeichnung für die beste Nachinszenierung sein. Die Marburger Intendantin Eva Lange gewinnt mit Diese Mauer fasst sich selbst zusammen und der Stern hat gesprochen, der Stern hat auch was gesagt.
Die Autorin Miroslava Svolikova umkreist darin in absurden Volten die Möglichkeit einer Gemeinschaft in einer Zeit der persönlichen wie politischen Vereinzelung. Der Text ist eine Herausforderung und Lange nimmt sie an, treibt ihr Ensemble (allen voran die humorhochbegabte Anke Stedingk) zu gleicherweise erhellenden wie urkomischen Leistungen an.
Die Konkurrenz in dieser Sparte war in diesem Jahr nicht sehr hart. Kieran Joel trotzte Alexander Eisenachs theoriesatter Detektivgeschichte Der Zorn der Wälder weder Spannung noch Erkenntnisse ab; Moritz Peters verhob sich in seiner Potsdamer Inszenierung an Thomas Köcks sperriger Textfläche paradies spielen (abendland. ein abgesang). Das soll Eva Langes Leistung aber nicht schmälern. Ihre Inszenierung hätte sich auch in anderen Wettbewerben durchgesetzt. Diesen Stern darf man als Zeichen verstehen. Großes Theater kann auch an kleinen Landestheatern entstehen. Herzlichen Glückwunsch!
Mehr zur Vergabe des Autor*innenpreis an Teresa Dopler in einem Resümee von Sophie Diesselhorst